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Ich rede mit euch

Als hinreißende, sprachlich äußerst begabte und weltoffene Tochter von Migranten fand ihre steile Karriere durch Krieg, Denunziation und Rassismus ein tragisches Ende. Nein, die Rede ist nicht von der EU 2017, sondern von einer hierzulande fast völlig unbekannt gebliebenen Dichterin aus Kiev im Zwischenkriegspolen, mit einer ergreifenden Biografie.

Zuzanna Ginczanka wurde vor 100 Jahren geboren, soviel ist sicher.

Die englische Wikipedia-Seite nennt im Gegensatz zur polnischen und deutschen Ausgabe drei verschiedene Daten: den 09., den 15. und den 20. März. Da der mittlere Termin von den dreien sowohl von Izolda Kiec, der „Wiederentdeckerin“ der in Polen lange in Vergessenheit geratenen Dichterin, genannt wird, im Ginczanka gewidmeten FemBio-Eintrag steht, als auch auf die Iden des März fällt, an denen des gewaltsamen Todes einer anderen prominenten Persönlichkeit gedacht wird, fand ich es passend, diese Website ebenfalls zu diesem Zeitpunkt auszurollen. Von Vorteil war dabei auch, dass ich auf die Art berücksichtigen konnte, was an Neuem zum Thema veröffentlich wurde … ;)

So brachte der Tygodnik Powszechny in seiner aktuellen Ausgabe 11/2017 einen längeren Nachruf auf die Dichterin, was für mich insofern bemerkenswert ist, als ich dort im Mai vor knapp zwei Jahren zum ersten Mal von Ginczanka und ihrem Schicksal erfahren hatte und nach kurzer Recherche beschlossen, der in Deutschland fast völlig Unbekannten zumindest ansatzweise das ihr zustehende Gedenken zukommen zu lassen.

Höchste Zeit, sich zu erinnern. Aber wie?

Ich rede mit euch

Erstaunlich finde ich, wie wenig wirklich unbestreitbare Informationen es über Zuzanna Ginczanka gibt. Nicht nur das Geburtsdatum existiert in 3 Varianten, nein, auch, wann sie ermordet wurde ist nicht genau bekannt. Dafür gibt es jede Menge sich widersprechende Erinnerungen von Personen, die sie anscheinend sehr gut gekannt haben. Je länger man sich näher mit ihr befasst, umso klarer wird einem, wie viele Ungereimtheiten es immer noch zu ihrer Person und zu ihrem Werk gibt, obwohl in Polen mittlerweile ihre Gedichte wieder gedruckt werden, Filme über sie gedreht wurde, eine Ausstellung gabe es … an medialer Aufmerksamkeit herrscht also kein Mangel.

Aber so wie Prof. Izolda Kiec bereits 1994 schrieb: „Ginczanka hatte kein Glück mit ihren Herausgebern“, so scheint es mir auch heute noch, als zerrten die verschiedensten Kritiker und Historiker an ihr, um Aspekte von Ginczanka ins geneigte Licht zu rücken, dabei gerne aber durchaus interessante Fragestellungen, die sich ebenso zur Beleuchtung anböten, zu „vergessen“. Interessanterweise lässt sich das auch in Ansätzen hier bereits feststellen, obwohl bis auf 2 Gedichte in einem vergriffenen kleinen Emigrantenmagazin und den Wikipedia-Artikel nichts von ihr auf Deutsch vorliegt. (Ok, ich korrigiere mich: seit einem Monat gibt es auch FemBio-Portal besagten Eintrag.)

Schauen wir uns doch Ginczankas Gedichte einmal näher an, denn ihr zu Lebzeiten erschienenes Buches „Von Zentauren“ liegt hier jetzt ja vor …

» Ich rede mit euch, hallo hallo «

(Fotos: © Holmsohn 2017)